Persönliche Erklärung Sebastian Hartmann nach §31 GO

Erklärung nach §31 GO zur namentlichen Abstimmung zum Gesetzentwurf der CDU/CSU und SPD-Bundestagsfraktionen: „Viertes Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (Drucksache 19/28444)

Ich stimme heute dem 4. Bevölkerungsschutzgesetz mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes zu. Die Lage ist nach wie vor ernst. Allein in Deutschland stehen rund 3,2 Mio. Covid-19-Erkrankte und rund 2,8 Mio. Genesenen über 80.000 verstorbenen Menschen gegenüber. Die Zahl der Erkrankten steigt aktuell leider weiter an – in Teilen des Bundesgebietes existieren kaum noch freie Kapazitäten des Gesundheitssystems.

Ich trete für die Vereinheitlichung zentraler Regeln ein. Wir brauchen letztlich weniger, aber klare und nachvollziehbare Regeln. Dies ist insbesondere notwendig zur besseren Berechenbarkeit, etwa in den Bereichen des Einzelhandels oder beispielsweise für Schulen und Kitas, weil wir dort die Kinder in Ermangelung von zugelassenen Impfungen immer noch nicht in gleichem Maße schützen können. Hier sind die Testkapazitäten ganz entscheidend. Gelichzeitig muss bedacht werden, dass das Infektionsgeschehen im Bundesgebiet sehr unterschiedlich ist – einerseits weil die Inzidenzzahlen sehr abweichend sind und anderseits Regeln nicht einheitlich und gerade in wesentlichen Bereichen gar nicht festgesetzt sind. Unabhängig gilt für alle Bürgerinnen und Bürger der Appell zur freiwilligen Rücksichtnahme zur erfolgreichen Pandemiebekämpfung. Unser oberstes Ziel muss es sein, dieses Infektionsgeschehen wirksam einzudämmen, um unser Gesundheitssystem und damit alle Menschen in unserem Land zu schützen und gleichzeitig dafür zu sorgen, einen Weg zurück in die Normalität aufzuzeigen. Hieraus folgen die Maßnahmen.

Hervorzuheben ist, dass die Bundesregierung erst 13 Monate nach Beginn der Pandemie ihre Strategie verändert hat. 13 Monate wurde teilweise in enger Folge das Instrument der Ministerpräsidentinnen- und Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) genutzt – ein reines, nicht öffentlich tagendes, Absprachegremium, bei dem darauf gesetzt wurde, dass die Länder das Vereinbarte in eigener Verantwortung umsetzen. Tiefpunkt war die chaotische Lage rund um die Idee einer „Osterruhe“, die am Ende wieder zurückgenommen werden musste. Ich bin überzeugter Föderalist und natürlich der festen Auffassung, dass man auch abweichende Regeln, Ergänzungen und Verschärfungen beschließen können muss. Dies ist nach der vorliegenden Regelung auch nicht ausgeschlossen, was die Verschärfungen von Maßnahmen betrifft. Wichtig ist, dass es nun einen festgesetzten Minimalkonsens gibt.

Ich begrüße mit dem 4. Bevölkerungsschutzgesetz, dass wir ein sicherlich schnelles, aber ordentliches parlamentarisches Verfahren, inklusive einer öffentlichen Anhörung, durchgeführt haben. Es war stets eine zentrale Forderung, dass wesentliche Entscheidungen in die Parlamente gehören. Dies geschieht heute. Die Bürgerinnen und Bürger können erwarten, dass das Parlament auch in der Pandemie handlungsfähig ist. Wir ringen miteinander um den bestmöglichen Weg. Es gibt unterschiedliche Positionen der SPD-Bundestagsfraktion und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, die auch ganz unabhängig von der Frage einer einheitlichen Bundesregelung deutlich wurden. Die SPD kann stolz darauf sein, dass wir einerseits die Testpflichten im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern deutlich besser geregelt haben. Das gilt auch für schärfere Home-Office-Pflichten. Auch im Bildungsbereich setzen wir mit einem umfassenden Förderungspaket einen wichtigen Punkt. Und schließlich, dass wir die Unverhältnismäßigkeit der Eingriffe zurückgedrängt haben. Das macht sich für mich an folgenden Punkten fest:

Erstens – die Befristung bis zum 30. Juni. Das ist ganz wesentlich für die Verhältnismäßigkeit, auch mit Blick auf die zu erfolgenden Fortschritte in der Pandemiebekämpfung.

Zweitens – weitergehende Rechtsverordnungen darf die Bundesregierung nur mit der Zustimmung des Bundestages erlassen. Ohne vorherige parlamentarische und öffentliche Debatte geht es nicht. Darauf haben die Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch. Das ist wesentlich für die Akzeptanz der Maßnahmen und deren Transparenz. Es stellt auch eine deutliche Verbesserung im Vergleich zu den Ergebnissen einer MPK dar.

Der dritte Punkt ist die Veränderung der sehr starren und nicht akzeptablen Regelung und Verfahren zur sogenannten Ausgangssperre. Grundsätzlich ist der Begriff Ausgangssperre wesensfremd in einer Demokratie. Diese Beschränkung wird nun auf 22 bis 5 Uhr begrenzt. Die Einführung einer Karenzzeit zwischen 22 und 24 Uhr, in der noch einzelne Aktivitäten im Freien vorgenommen werden können, ist für mich als Sozialdemokrat besonders wichtig. Es leben in unserem Land auch Menschen ohne einen Garten, Balkon oder Einfamilienhaus, denen der Aufenthalt im Freien zu üblichen Zeiten genauso möglich sein muss – vor allem, wenn sie beispielsweise weiter ihren Arbeitspflichten in Büros oder woanders in Präsenz nachkommen.

Zweifel habe ich – das möchte ich an dieser Stelle festhalten – an den Rückfall und der weiteren unterschiedlichen Nutzung der Inzidenzwerte von 100, 150 und 165 als Schwellen für Grundrechtseingriffe. Die SPD-Bundestagsfraktion legt in ihrem Positionspapier dar, dass der Inzidenzwert natürlich ein zentraler Indikator für die Bemessung des Infektionsgeschehens ist und gleichzeitig „kann er aber nicht als alleiniges Kriterium für die Notwendigkeit von oft erheblich in Grundrechte eingreifenden Maßnahmen herangezogen werden. Schutzmaßnahmen dürfen darum nur erlassen werden, wenn sich eine Gefahr für die Bevölkerung durch die Corona-Pandemie auch aus anderen Kriterien ergibt.“ Hier hat der Gesetzgeber erst mit dem Gesetz zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen vom 04. März 2021 zur Feststellung der Epidemie weitere Kriterien hinzugefügt: Den R-Wert und die Krankenhauskapazitäten.

Völlig unabhängig davon haben alle Bürgerinnen und Bürger einen Anspruch, dass der handlungsfähige Staat endlich die Herausforderungen der Pandemie in den Griff bekommt, bevor man zu solchen Maßnahmen greifen muss. Das bedeutet für mich die Ausweitung der Testkapazitäten und der Behandlungskapazitäten für Intensivpatienten. Es ist unfassbar, dass wir zur Vermeidung überlasteter Intensivstationen im Monat 13 immer noch kein milderes Mittel haben als Grundrechtseingriffe und beispielsweise Krankenhauskapazitäten nicht in dem Maße ausgebaut wurden oder die Impfungen lange stockten. Hier keine Missverständnisse: Niemand soll billigend einer Gesundheitsgefahr ausgesetzt werden und jeder hat im Zweifel Anspruch auf eine adäquate medizinische Versorgung. In diesem demokratischen Rechtsstaat sollte man in der Lage sein, eine Behandlung auch bei anderen Erkrankungen zu erhalten, ganz unabhängig von einer Covid-19-Infektion. Und dass wir zu solchen Mitteln greifen, zeigt leider, dass wir immer noch nicht die nötige Resilienz des Gesamtsystems haben.

Zu guter Letzt: Die SPD hat seit Januar das zu langsame Impftempo kritisiert. Nach wie vor stockt die Impfstoffbeschaffung. Ich erwarte, dass dies bis zum 30. Juni massiv ausgeweitet wird, um einhergehend mit höherer Immunisierung keine weiteren Einschränkungen in dieser Form vollziehen zu müssen.