Den Genossinnen und Genossen in Nordrhein-Westfalen habe ich meinen Verzicht auf die Kandidatur zum Landesvorsitzenden der nordrhein-westfälischen SPD beim Landesparteitag Anfang März und meine Beweggründe zu dem Schritt mit dem folgenden Schreiben dargelegt:
Liebe Genossinnen und Genossen,
sagen wir, was ist: Zu Beginn der Wahljahre 2021 und 2022 ist die Lage der Sozialdemokratie in Deutschland und Nordrhein-Westfalen bei seit langem stagnierenden Umfragewerten von 14 bis 16 Prozentpunkten auf Bundesebene ernst. Bei der Kommunalwahl 2020 lag die NRWSPD 8 Prozentpunkte vor dem Bundestrend – doch 24 Prozent sind ein landesweit mageres Ergebnis.
Es gibt nichts schönzureden. In dieser schweren Lage muss die Sozialdemokratie alle verbliebenen Kräfte sammeln. Die Einheit der Partei ist zwingend für alles – vor allem für erfolgreiche Wahlen.
In ebenso schwerer Lage habe ich in Nordrhein-Westfalen im Juni 2018 Verantwortung übernommen und wurde mit einer Zustimmung von 81 Prozent auf dem NRWSPD-Wahlparteitag zum Landesvorsitzenden gewählt. Mit einem starken Team und Programm markierten wir nicht nur medial einen Aufbruch.
Durch die überfälligen programmatischen Klärungen entlang der Idee „Rot pur“ haben wir Weichen für eine selbstbewusste, moderne Sozialdemokratie gestellt. Schon im September 2019 wurden beispielweise starke wie mutige Konzepte für bezahlbares Wohnen, mehr Investitionen und Ideen eines besseren Bildungssystems beschlossen. Themen, die heute in Umfragen weit oben stehen. Es geht um die Orientierung an den Sorgen und Bedürfnissen der Menschen im Land. Wir modernisieren uns und bauen zudem aktuell mit dem Johannes-Rau-Haus in Düsseldorf die modernste Parteizentrale.
Der Weg zur neuen Stärke ist Teamarbeit wie Dauerlauf und kein Strohfeuer. Noch vor dem Landesparteitag im Mai 2020 haben wir uns breite Unterstützung und gutes Teamplay versichert. Der Parteitag wurde Corona-bedingt zweimal verschoben und findet im März 2021 endlich statt.
Seit Oktober 2020 steht mit einer weiteren Kandidatur der Vorschlag im Raum, alle Spitzenämter der NRWSPD in einer Hand zu konzentrieren. Es sprechen Gründe sowohl für als auch gegen die Zusammenlegung der Ämter des Partei- und Fraktionsvorsitzenden. In ähnlicher Lage trennte die Bundespartei im Mai 2019 die Funktionen Partei- und Fraktionsvorsitz und nominierte im August 2020 zudem einen separaten Kanzlerkandidaten.
Persönlich habe ich frühzeitig intern und hiernach vor Monaten auch öffentlich eine Spitzenkandidatur ausgeschlossen, um mich auf die Führung unserer Partei zu konzentrieren. Wie in den Jahren 2013 und 2017 bewerbe ich mich um die Fortsetzung meiner Arbeit als Abgeordneter im Deutschen Bundestag.
Der demokratische und faire Wettbewerb gehört in den Parteien dazu. Wenn jedoch die Wahrnehmung selbstverständlicher Aufgaben eines Landesvorsitzenden bereits mediale Sprengwirkung entfaltet, entfällt der nötige Raum, einerseits Ämter auszufüllen und andererseits Kandidaturen zum Erfolg zu führen. Diese Muster kenne ich seit Übernahme des Landesvorsitzes im Juni 2018 – verbunden mit medialen Zerrbildern unserer Arbeit und der eigenen Person. Daraus folgten Verlust von zunächst Autorität und dann Unterstützung. Hieraus sind zwangsläufig Schlüsse zu ziehen.
Die Berichterstattung der letzten Tage zeigte mir, dass die Phase der Bewerbung um ein Amt auf dem Landesparteitag nicht zu einem Fest des Wettbewerbs und der Demokratie, sondern zur weiteren Belastung für die Sozialdemokratie in NRW, für meine Mitarbeiter*innen, meine Familie und mich würde. Ich weiß, dass Menschen enttäuscht sind und auch ich Fehler gemacht habe. Dies bedaure ich.
Meine zuletzt kritisierte öffentliche Zurückhaltung diente dem Zweck, Raum für intensive Gespräche zur Einigung und Lösung der Lage zu schaffen – mit dem Ziel der Teambildung. Nach diesen Gesprächen und auf Bitten aus den Regionen habe ich entschieden, auf dem nächsten Landesparteitag nicht erneut als Vorsitzender anzutreten. Jetzt heißt es, in einem geordneten Prozess den bevorstehenden Landesparteitag vorzubereiten.
Den Mitgliedern der NRWSPD danke ich für ihr Vertrauen und die Möglichkeit an zentraler Stelle zu gestalten. Gleiches gilt den Mitgliedern im Landesvorstand und den Mitarbeiter*innen der NRWSPD, die vertrauensvoll und loyal mit mir zusammengearbeitet haben.
Seien wir zukünftig solidarischer und bleiben wir beieinander.
Wir sehen uns. Bleibt gesund und ein herzliches Glück auf!
Sebastian Hartmann