Vision und Verantwortung!

Wenn wir uns nach dem Kern und Wesen der Sozialdemokratie und damit der Frage nach dem Ziel der sozialdemokratischen Bewegung im Jahr 2018 fragen, so hilft die Rückbesinnung auf Grundlegendes.

Denn die Sozialdemokratie lebt vom Hoffnungsüberschuss. Von der Idee eines besseren Morgen.

Die Daseinsberechtigung der Sozialdemokratie sticht im Jahr 2018 nach gut 155 Jahren wechselvoller Geschichte der SPD in einer scheinbar zunehmend unübersichtlichen wie unsicheren Welt deutlicher denn je hervor: Eine gute und gerechte Zukunft, die gemeinsam durch solidarisches Handeln erreicht werden kann. In einer Gesellschaft, die durch ein bewusstes Bekenntnis zueinander entsteht und nicht durch Abgrenzung und Spaltung in Gruppen.

Diese Vision des Schaffens und Zusammenhaltens einer gerechteren Gesellschaft ist aller Mühen wert.

Sollten wir dieses Zukunftsversprechen und die Idee des Progressiven aus den Augen verlieren, dann – genau dann scheitern wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.

Also, nur Mut!

Erste Verabredung

Die Sozialdemokratie hat eine positive Idee der Zukunft. Wir ängstigen unsere Mitmenschen nicht, sondern wir versprechen glaubhaft das bessere Morgen. Dafür arbeiten und streiten wir.

Es wäre in Anbetracht unserer langen Geschichte und wahrgenommenen Regierungsverantwortung doch ein Hohn, die Welt in düstersten Farben zu zeichnen und die Menschen durch Angst und Furcht zu etwas zu zwingen. Das ist das Feld der Populisten und Rechten. Im Gegenteil! Wir wollen begeistern und dazu einladen, den Weg zur besseren Zukunft aktiv und gemeinsam zu gehen!

Dazu kommt gemäß des von Ernst Bloch formulierten Prinzips Hoffnung (also seines Werkes, das eigentlich passenderweise „The dreams of a better life“ heißen sollte):

„[Wir wollen] ins Gelingen verliebt sein, nicht ins Scheitern.“

Daraus folgt gleich zweierlei:

Wenn es um die Wahl zwischen dem Warten auf die einmalig umwälzende Revolution geht oder um die konkrete Verbesserung im Hier und Jetzt, dann sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten auch zu Kompromissen bereit, um durch Handeln das Hier und Heute zumindest ein Stück besser zu machen. Das ist linker Pragmatismus.

Daraus folgend lässt sich ein Leitgedanke ableiten, der an unseren österreichischen Genossen Bruno Kreisky anknüpft, als er es wie folgt formulierte:

„Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass gewisse Umstände so und nicht anders sind, aber das bedeutet noch lange nicht, dass wir bereit sein müssen, sie als unumstößliche Tatsachen hinzunehmen. Ich bin in der Politik immer für eine positive Änderung der Verhältnisse eingetreten […].“

Und aus dieser doppelten Feststellung ergibt sich ein weiterer Punkt:

Wir haben eine große und positive Vision der Zukunft und sind bereit dafür konkret zu handeln. Es muss daher beides zusammengehen: Die mutige, große Vision und die konkrete Verantwortungsübernahme im Sinne der Menschen zur Verbesserung der Dinge im Hier und Jetzt. Das eine schließt das andere nicht aus – es bedingt einander!

Zweite Erkenntnis und Verabredung:

Der Entwurf einer attraktiven, mutigen Vision von Staat und Gesellschaft zwingt uns geradewegs zu heutigem Handeln zur Erreichung derselben. Wenn wir Sozialdemokraten vom demokratischen Sozialismus in unserem Programm sprechen, dann ist das nicht hohles Gerede, sondern echtes Ziel, dass durch Übernahme von Verantwortung und Gestaltung Stück für Stück erreicht wird.

Daher eine Anmerkung zur aktuellen Debatte um die Zukunft der SPD: Die Herausforderung der Sozialdemokratie entscheidet sich nicht entlang der Frage der Regierungsverantwortung oder dem Innehaben der führenden Oppositionsrolle im Deutschen Bundestag.

Noch konkreter: Ob die SPD den neuen Entwurf einer attraktiven Vision des besseren Morgens sowie die glaubhafte Beschreibung des Pfades dorthin personell, strukturell und organisatorisch und damit ihre grundlegende Erneuerung schafft, hängt nur von uns selbst ab!

Sie wäre aber negativ entschieden durch den freiwilligen Verzicht auf Verantwortung ohne ausreichende wie nachvollziehbare Begründung und Perspektive.

Zugegeben – viele linke, sozialdemokratische Parteien sind in Europa marginalisiert – aber die Analyse zeigt: Es liegt doch nicht daran, ob sie regiert haben oder nicht. Zumindest der empirische Nachweis fehlt. Denn die Ursache liegt tiefer.

Die Erneuerung der Partei bedeutet, dass wir endlich mutige Antworten auf die Fragen der Zeit geben. Schaffen wir es, die vorhandenen, sich verstärkenden Ängste um die Zukunft zurückzudrängen, um Raum für Hoffnung und Vertrauen zu eröffnen? Dann hat die Sozialdemokratie in Deutschland eine große Zukunft und Chance.

Wir müssen und wir wollen neue und vor allem relevante Fragen debattieren und mit Hauptsätzen und klaren Positionen beantworten. Klarheit in der Sache ist jedoch nicht mit Kompromisslosigkeit zu verwechseln.

In Anbetracht immer längerer Wahlprogramme wird immer deutlicher: Die Summe aller Spiegelstriche ergibt auch keine Mehrheit. Es geht darum, die Bruchkanten zwischen den politischen Lagern deutlich zu machen und echte Wahlmöglichkeiten zu schaffen.

Auf den Punkt: Was bringen immer neue 100% Programme, wenn gleichzeitig die Zustimmung bei Wahlen durch zunehmende Fragmentierung der Wählerschaft sinkt? Da scheint Redebedarf zu sein – also packen wir es an.

Vielerorts wird debattiert und eine Vielzahl interessanter Ansätze ist bereits verfasst. Das Problem: Es bleibt bei angerissenen Diskussionen. Genau diesen Aspekt führt der Journalist Niki Kowall in seinem jüngsten Artikel Krise der SPD: Auf welche Themen die Sozialdemokratie setzen muss an. Kowall stellt fest: „[…] als viele relevante Themen eigentlich auf der Straße liegen. Man könnte überspitzt sagen: Die großen Fragen der Zeit werden überall heißer diskutiert als in der sozialdemokratischen Parteienfamilie […]. Was sind die Themen, aus denen Antworten für die Zukunft generiert werden müssen, um Ängste zu nehmen und Vertrauen zu gewinnen?“

Lohnende Felder der Debatte sind zum Beispiel Fragen zur Verteilungsgerechtigkeit, der Zukunft des modernen Sozialstaats oder auch die Definition der Rolle des Staates.

Warum belasten wir trotz gigantischer Produktivitätssteigerungen weiterhin vor allem den Faktor Arbeit und nicht die zunehmend anders gegebene Wertschöpfung in Kapitalerträgen?

Trotz der steigenden Produktivität müssen Menschen immer länger arbeiten – warum machen wir das eigentlich mit? Das geht doch anders viel besser!

Wie gehen wir mit der ungleichen Verteilung immer größerer Vermögen um und was bedeutet dies für den Leistungsbegriff auch kapitalistischer Wirtschaftssysteme? Thomas Pikettys 2014 veröffentlichter Debattenbeitrag „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung aufgegriffen – die Debatte und Klärung in der SPD steht allerdings bis heute  aus. Was ist mit einem neuen Ansatz in der Nachhaltigkeitsdebatte, dem Blick auf die Lebensqualität und mehr Zeitsouveränität?

Wie schaffen wir eine umfassende Wiederaufnahme der staatlichen Investitionen in die Zukunftstechnologien und den leistungsfähigen Staat? Durch die klare Definition der öffentlichen Aufgaben.

Zeit gewinnen für Familie, Freizeit und Kultur – das wäre doch mal was. Also wie gehen wir mit den in der Bundestagswahlkampagne angerissenen Ansätzen um?

Die Zukunft der Staaten, der Demokratie und die Herausforderung der Globalisierung kann durch die linken Kräfte nur mit der Renaissance der Politik und der Stärkung der Debatte beantwortet werden.

Einzelne Staaten können wenig, altes Wort. Wir wissen, dass das Kapital international organisiert ist und die Arbeit national. Doch tiefergehend: Wir haben immer noch keine konsistente Antwort sowie Strategie im Umgang mit den Trends der Internationalisierung und Globalisierung entworfen – doch da müssen wir ran. Fairer Handel und Regulierung eines entfesselten Kapitalismus gelingen nur durch starke Staaten und internationale Kooperation. Es ist mehr als die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer, nämlich die Begrenzung des Rechts des Stärkeren (in Form des Kapitals) durch das Recht selbst in Form internationaler Regeln.

Die Zukunft der Demokratie durch einen neuen Integrationsbegriff und dem Entwurf eines neuen Gesellschaftsvertrages sichern – das ist ein weiteres wie konstituierendes Element handlungsfähiger Staaten.

Inhalte müssen sich aber mit Strategie verbinden – sonst nützt die schönste Debatte und Positionierung nichts – bliebe sie doch hohle Theorie. Es gilt, aus all den hier nur angerissenen Debatten eine neue Bündnisfähigkeit der SPD zu schaffen.

Denn die Kernfrage bleibt doch: Mit wem wollen wir was umsetzen? Die SPD muss dafür zweierlei schaffen. Sie muss erstens Plattform für aktuelle gesellschaftliche Diskussionen werden, dabei aber stets sozialdemokratische Antworten auf die Debatten geben – und eben nicht beliebig werden.

Plattform sein, heißt: Die Debatten in den Gewerkschaften, in der Wissenschaft und Forschung, aber auch in den neuen sozialen Bewegungen zusammenbinden zu einer linken, progressiven Politik. Das, was dort läuft in Medien, Wissenschaft und Gesellschaft muss in den Mittelpunkt der Arbeit der SPD – aber die SPD muss auch den Mut zum Anschub und zur führenden Rolle in den Debatten haben. In bestimmten Zeiten der Republik klärten sich Fragen der deutschen Politik auf SPD-Bundesparteitagen. Das kann wieder sein!

Dabei müssen wir bei aller theoretischen Stärke auch beachten, dass es nicht nur auf Parteitagen um eine tragfähige Mehrheit gehen kann – es braucht nicht zuletzt die breite gesellschaftliche Zustimmung über die zersplitterten Wählerschaften hinweg als neues bindendes Element für einen notwendigen Wahlerfolg.

Die SPD muss dadurch zweitens der spannendste Ankerpunkt einer neuen Mehrheit in diesem Land sein!

In seinem jüngst veröffentlichten Artikel Wie die Erneuerung der SPD gelingt bringt es Johano Strasser auf den Punkt: „Die Zwecke wieder höher schätzen als die Mittel. Das ist es, was Sozialdemokraten wieder lernen müssen, das ist auch der Kern dessen, was eine gründliche Erneuerung der Partei zu leisten hätte. Sich nicht einreden lassen, dass ohne Wachstum gar nichts geht, nicht alles und jedes, was die Cleverles in Silicon Valley uns als glänzende Zukunft präsentieren, ungeprüft als Fortschritt akzeptieren, sich nicht einreden lassen, die Globalisierung, wie sie ist, sei nun einmal die Globalisierung und basta! Die Sozialdemokraten, nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa und in der Welt, müssen sich endlich aus der Sklaverei durch Mittel befreien, die sich zu Zwecken aufgeworfen haben, damit sie nicht aus den Augen verlieren, wofür sie eigentlich Politik machen sollten.“

Daher gilt es: Zeit gewinnen, sich Zeit nehmen für die Debatten, mutig und zuversichtlich sein. Traurige Gesichter, Angsthasen und Miesepeter ohne Idee werden nicht gewählt. Das wird nicht die Lösung sein. Stattdessen: Mit uns zieht die neue Zeit! Vision und Verantwortung schließen sich nicht aus – sie ergänzen sich.