Die SPD hat bei den Bundestagswahlen am 24.09.2017 ihre zentralen Wahlziele,
den Kanzler zu stellen und eine eigene Mehrheit als führende Partei bilden
zu können, nicht erreicht. Mehr noch: Wir haben bei der Wahl mit 20,5
Prozent Zustimmung historisch schlecht abgeschnitten. Die große Koalition
aus CDU/CSU und SPD hat gemeinsam rund 14 Prozent eingebüßt. Damit verfügt die Koalitionsoption nur noch über 246 Unions-Stimmen plus 153 SPD-Stimmen, also 393 Stimmen bei einer erforderlichen Mehrheit von 355 Stimmen.
Die große Koalition ist mit ihrem denkbar schlechten Abschneiden nicht das
favorisierte Koalitionsmodell – auch wenn zur Bundestagswahl Parteien und
nicht Koalitionen antreten. Das Wahlergebnis muss Konsequenzen und eine
umfassende Parteierneuerung zur Folge haben. Dieser Verantwortung stellt
sich die SPD. Ein „Weiter so!“ kann und darf es nicht geben!
Die CDU/CSU hat sich entschieden, keine Konsequenzen aus ihrem
katastrophalen Abschneiden zu ziehen. Stattdessen versuchte Angela Merkel
mit ihrem faktisch gescheiterten Politikstil des Aussitzens und
Wegmoderierens die Macht durch endlos zähe und langwierige
Jamaika-Verhandlungen zu erhalten. Dies ist aber nicht Problem der deutschen
Sozialdemokratie.
Ich bin mir sicher, dass der Anfang vom Ende der Ära Merkels endgültig
begonnen hat. Sie hat keinen Plan für unser Land und keine Idee, wohin sich
unsere Gesellschaft entwickeln soll. Merkel scheut Antworten auf drängende
Fragen der Zeit. Dieses Politikmodell darf eine verantwortungsbewusste
Sozialdemokratie nicht unterstützen.
Die FDP unter ihrem Chef Lindner hat sich endgültig als politischer
Hasardeur entlarvt. Jenseits bunter Plakate und markiger Sprüche war da
nichts. Dass die Ausstiegskampagne schon seit Donnerstag vor dem
sonntäglichen Scheitern der Jamaika-Sondierungen vorbereitet war, ist der
Gipfel der Inszenierung. CDU, CSU und Grüne waren zu Statisten degradiert
und die ehemals staatspolitische Verantwortung der FDP eines Scheels oder
Genschers endgültig zerstört.
Für die übrig gebliebenen Verhandlungspartner CDU, CSU und Grüne ist der
Ausstieg der FDP jedoch nicht mit einem Verhandlungsende gleichzusetzen. Sie
stehen nun in der Pflicht ihre Gespräche fortzuführen und die Option einer
Minderheitsregierung intensiv zu erörtern. 2013 haben sich die Grünen –
trotz Mehrheit – einer Regierung mit der CDU und CSU verweigert, jetzt
dürfen sie sich nicht wieder wegducken.
Aus dem Scheitern einer Angela Merkel bei der Regierungsbildung und der
Verantwortungslosigkeit eines politischen Aktionskünstlers Christian Lindner
leitet sich nicht eine Reserverolle der SPD ab. Im Gegenteil: Die Lage
bedarf einer grundlegend neuen Bewertung.
Die SPD hat umgehend auf die neue Lage mit ausführlichen Beratungen ihres
Parteivorstandes am Montag, 20.11.2017 reagiert. Im Ergebnis steht ein
einstimmiger Beschluss, dessen vollständige Textfassung ich in der Anlage
beifüge.
Mir ist in dieser Lage außerordentlich wichtig, die Führungsrolle der Partei
und hier ihres Parteivorstandes unter enger und direkter Einbeziehung der
Mitglieder zu betonen. Dieser Verantwortung ist der Parteivorstand mit
seiner ersten Positionierung nachgekommen. Der Text ist jedoch genau zu
lesen – auch wenn wie so oft zahlreiche Medien die Textpassage
fälschlicherweise als ausschließliche Neuwahlpositionierung begriffen und
dementsprechend berichtet haben. Klar ist: Die SPD verschließt sich niemals
ihrer Verantwortung. Aber der Ball liegt bei der Union und allen voran der
bei der gescheiterten Kanzlerin Merkel.
Die geschäftsführende Bundesregierung – und auch die SPD-Minister verbleiben
im Amt und nehmen ihre Verantwortung wahr. Der Bundestag ist arbeits- und
handlungsfähig. So hat die SPD-Bundestagsfraktion am 22.11.2017 einen
eigenen Gesetzentwurf zur Fachkräfteeinwanderung ins Parlament eingebracht,
den ich als zuständiger Berichterstatter im Bundestag begründet habe.
Die SPD muss nun die Zeit nutzen, alle möglichen Ergebnisse vorzubereiten
und auch für den Fall von Neuwahlen gewappnet zu sein. Zur Verantwortung
gehört auch, dass wir nun eine klare Positionierung als präzises
inhaltliches Fundament formulieren. Denn nur auf dieser Basis kann die SPD
definieren, ob sie eine politisch tragfähige (Mehrheits-)Konstellation
erreichen kann, um ihre politischen Ziele durchzusetzen, für die sie
angetreten und gewählt worden ist.
Wir wissen: Das Wahlziel der Wählerinnen und Wähler der SPD war es eben
nicht, Horst Seehofer von der CSU und Angela Merkel von der CDU bar
jeglicher Inhalte an der Macht zu halten. Mir ist mehr als bewusst, dass die
SPD am Beginn einer umfassenden Parteierneuerung steht, die bei weitem nicht
abgeschlossen ist. Erst durch eine umfassende Parteierneuerung kann die SPD
deutlich stärker, eigene Durchschlagskraft beweisen und mehr Erfolg bei
Wahlen haben, als bisher.
Die SPD steht zur Verantwortung für Europa und Deutschland. Unsere Idee von
Europa ist ein Europa des Friedens als Fundament, des sozialen Fortschritts
für alle und eine klare Absage an neoliberalen, die hart arbeitende Mitte zu
Recht ängstigenden Marktradikalismus und das Schleifen sozialer Rechte. Wir
sind die Partei der Arbeit, die trotz demografischen Wandels, neuer
Herausforderungen durch Digitalisierung und Ökonomisierung eine gleiche
Verteilung von Chancen und im Mittelpunkt ein gelingendes, selbstbestimmtes
Leben durch eigene und gut bezahlte Arbeit für alle ermöglichen will. Wir
wissen um die ungerechte Verteilung von Einkommen und die Sprengkraft obszön
großer Vermögen und werden diese Gefahr für unsere Welt durch Regulierung
wirksam bekämpfen. Nur so stärken wir den Zusammenhalt der Gesellschaft und
nur so ermöglichen wir handlungsfähige Staaten.
Uns ist bewusst: Die SPD ist angetreten, um dieses Land und unsere
Gesellschaft zu gestalten. Wir drücken uns nicht vor der Verantwortung. Denn
nur die AfD und die Linke sind mit der klaren Absicht angetreten, keinerlei
Verantwortung übernehmen zu wollen, sondern nur destruktive Opposition zu
sein. Der Platz der SPD in der Opposition ist diesen gegenüber nicht
gleichzusetzen. Denn die Rolle der Opposition darf nicht der AfD überlassen
werden. Dass diese Rolle die SPD übernehmen sollte, findet breite
Anerkennung.
Denjenigen, die nun pauschal verlangen, die SPD solle sich umgehend in
Sondierungsgespräche mit dem Ziel sofortiger wie erfolgreicher
Koalitionsverhandlungen mit der Union zu begeben, sei gesagt: Die
Entscheidung hierüber trifft die Partei als Ganzes. Und zwar unabhängig
davon, ob und in welcher Form das freie und nicht an Aufträge und Weisungen
gebundene Bundestagsmandat durch die gewählten SPD-Bundestagsabgeordneten
ausgeübt wird. Denn die parlamentarische Arbeit findet unabhängig von
Regierungskonstellationen statt. Es gibt keine Staatskrise und keine
unmittelbar zwangsläufige Folge aus dieser Bewährungsprobe der deutschen
Demokratie.
Ich werbe dafür, die inhaltliche Basis der Verantwortungsübernahme in
kurzer, präziser Form so darzulegen, dass unsere Wählerinnen und Wähler im
Falle notwendiger Neuwahlen ein attraktives wie einzigartiges Angebot
bekommen, dass in stärkerer Zustimmung zur SPD als das bisherige
Wahlprogramm mündet. Es gilt jedoch: Weniger ist mehr, an Beschlusstexten
mangelte es nicht.
Klarheit und Präzision plus Abgrenzungen vor Formelkompromiss.
Dann sorge ich mich weder um die Zukunft der SPD noch um die unseres Landes.