Persönliche Erklärung zur Abstimmung über Verhandlungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik Griechenland

Persönliche Erklärung gemäß § 31 GO Bundestag zur Abstimmung über Verhandlungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik Griechenland nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 ESM-Finanzierungsgesetz (ESMFinG)

Ich stimme dem Antrag der Regierung auf Verhandlungen der Bundesregierung über die Gewährung von Finanzhilfen an die Hellenische Republik Griechenland zu. Es geht aber nicht nur um Griechenland. Es geht auch um die geeinte Wertegemeinschaft Europa von Freiheit, Frieden und Demokratie. Meine Erwägungen für diese Entscheidung sind die folgenden:

Es gibt viele Details auf dem Weg zum dritten Rettungspaket und auf dem Weg dahin, die nicht meine Zustimmung finden. Jedoch war von Anfang an klar: Am Ende des Gipfels würde – wenn überhaupt – ein Kompromiss stehen. Ein Kompromiss zwischen den Regierungen der Euro-Zone und natürlich auch ein Kompromiss innerhalb der Bundesregierung und der Koalition.

Die einzig ersichtliche Alternative zu einer Zustimmung ist ein Staatsbankrott Griechenlands, der einen Ausstieg des Landes aus unserer Währungsunion nach sich ziehen würde. Dies aber hätte Folgen, die unkalkulierbar sind. Zu befürchten wäre ein völliger Zusammenbruch der griechischen Volkswirtschaft, aber auch ein erheblicher Anstieg der Zinsen für andere südeuropäische Partner. Hinzu kommt die Symbolkraft: Europa hätte sich als handlungs- und kompromissunfähig erwiesen.

Es muss festgehalten werden, dass es in den letzten fünf Jahren nicht gelungen ist, Griechenland auf die Beine zu helfen. Deutschland ist durch investitionsfördernde Maßnahmen aus der Krise 2008 gekommen, welche die SPD seinerzeit in der Großen Koalition durchgesetzt hatte. Als Deutschland aufgrund der Finanz- in eine Wirtschaftskrise geriet, beschlossen wir – richtigerweise – keine Sparpakete, keine Lohnkürzungen, keine Rentenkürzung, keine Ausgabenkürzung des Staates, keine Suppenküchen, keine Privatisierungen – wir beschlossen für Deutschland Konjunkturprogramme: Im November 2008 wurde unter dem Namen „Schutzschirm für Arbeitsplätze“ das erste Konjunkturpaket beschlossen: 15 Maßnahmen, mit denen die Wirtschaft gestärkt, Arbeitsplätze gesichert und private Haushalte entlastet wurden. Mit dem Paket wurden Investitionen und Aufträge in Höhe von 50 Milliarden Euro gefördert. Im Januar 2009 folgte das Konjunkturpaket II, ein weiteres umfassendes Maßnahmenpaket in Höhe von 50 Milliarden Euro für die Jahre 2009 und 2010. Dazu kam die Sicherung der Arbeitsplätze durch ein riesiges Kurzarbeiterprogramm. Deutschland kam aus der Krise. Dabei entspricht der Exportüberschuss Deutschlands, auch in Folge jahrelanger Reallohneinbußen, in anderen Ländern Importüberschüssen, verschärft also die Verschuldung.

Ich verbinde meine Zustimmung zu dem Paket mit der Erwartung, dass neben Einspar-Vorgaben auch Investitionen ermöglicht werden, die Griechenland erlauben, aus der Krise heraus zu wachsen. Es stehen 35 Milliarden Euro aus EU-Strukturfonds bereit, die bisher nicht abgerufen wurden, weil Griechenland die Ko-Finanzierung nicht aufbringen konnte. Bestandteil des Pakets ist nun, dass Europa einen Großteil der Mittel für die Ko-Finanzierung bereitstellt und die Verfahren zur Nutzung der Strukturhilfen beschleunigt werden. Diese Absichtserklärung muss nach Abschluss des Abkommens mit Leben gefüllt werden. Wenn dies nicht gelingt, sehe ich keine Aussicht auf eine nachhaltige Verbesserung. Auch aus den Privatisierungen, denen ich nicht zuletzt wegen der Erfahrungen und Ergebnisse der vergangenen fünf Jahre kritisch gegenüber stehe, sollen Mittel für Investitionen bereitgestellt werden. Nur mit Maßnahmen dieser Art kann ein echter Ausgleich zu einseitig schädlichen, überzogenen Sparvorgaben erreicht werden.

Wie riskant der Einsatz deutscher Steuergelder ist, muss sehr differenziert betrachtet werden. Deutschland hat erstens durch die geringen Zinsen auf eigene Staatsanleihen, zweitens durch seine erhebliche Exportquote in die Staaten der Europäischen Gemeinschaft in den letzten Jahren profitiert, während dort die ökonomischen Schwierigkeiten entstanden sind. Drittens sollte man sich vor Augen halten, dass bei einem Zusammenbruch der griechischen Volkswirtschaft unsere Forderungen komplett abzuschreiben wären.
Am Ende denke ich, es ist auch eine Frage der Moral. Deutschland wurde nach 1945 von vielen Staaten die Hand gereicht und der Weg zurück in die Gemeinschaft der europäischen Staaten geebnet. Uns wurden Schulden in erheblicher Höhe erlassen. Mir persönlich erscheint es vor diesem Hintergrund als recht und billig, das Jahrtausendprojekt Europa mit seiner Einigung in Frieden und Freiheit vor dem Scheitern zu bewahren.

Die nun gewonnene Zeit muss für ernsthafte Verhandlungen zu einer dauerhaften und tragfähigen Lösung genutzt werden. Im Rahmen dieser Einigung ist mit Verhandlung des Memorandum of Understanding muss jenseits rein fiskalischer und finanzmarktgetriebener Ziele auch die soziale Lage der Menschen in Griechenland, die Arbeitslosigkeit, die medizinische Versorgung, die Altersarmut wieder in den Mittelpunkt rücken. Das Augenmerk muss auf die soziale Gerechtigkeit gerichtet werden. Bei all den Banken, Konten, Anleihen, Derivaten, Fazilitäten und heimlichen Vermögen im Ausland sind die Menschen aus dem Blick geraten.

Nach dem ersten und dem zweiten steht nun das dritte Hilfsprogramm für Griechenland an. Aus Sicht der Geldgeber ist selbstkritisch anzumerken, dass die Austeritätspolitik der letzten fünf Jahre in Griechenland gescheitert ist, die daraus bestand, Renten zu kürzen, Löhne zu senken, Beamte zu entlassen und Privatisierungen vorzunehmen. Dabei waren die „Geldgeber“ nicht selten auch die „Geldnehmer“. Von Beginn an waren die Hilfsprogramme an Griechenland einseitig darauf ausgerichtet, dass man von Gläubigerseite Hilfszahlungen gegen Strukturreformen tauschte. Im ersten Paket fehlte auch ein Haircut, sodass private Gläubiger mit Steuergeldern gestützt (herausgekauft) wurden. Deshalb hat die SPD Fraktion dem ersten Hilfspaket auch nicht zugestimmt. Diese Reformen waren zu einseitig auf die Kürzung von Arbeits- und Sozialmaßnahmen und zu wenig auf Investitionen ausgerichtet. Dies hat auch dazu geführt, dass die Arbeitslosigkeit zu den größten griechischen Problemen gehört. Mit 25 Prozent verzeichnet es die höchste Arbeitslosenquote der Europäischen Union. In der Eurozone liegt sie mit durchschnittlich elf Prozent nicht einmal halb so hoch. Besonders betroffen sind Jugendliche: Jeder zweite der 15- bis 24-jährigen Griechen ist arbeitslos gemeldet. Zudem hat Griechenland insgesamt Schulden in Höhe von rund 330 Milliarden Euro, das sind 185 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zu Beginn der Hilfsprogramme in 2010 lag dies noch bei 148 Prozent. Die Inflationsrate sank zudem von plus 4,7 Prozent in 2010 auf minus 1,4 Prozent in 2014. Mehr als die griechische Bevölkerung haben die Banken und Spekulanten von der Krise profitiert – drei Viertel aller Hilfskredite flossen direkt zu den Banken bzw. den Gläubigern.

Peer Steinbrück hat in einer bemerkenswerten Rede im Deutschen Bundestag am 27. Februar 2012 erklärt, warum das damals ebenfalls von Kanzlerin Merkel und BM Schäuble verhandelte zweite Griechenland-Paket „erhebliche Verunsicherung und Zweifel“ auslöse. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass er mit vielen seiner damaligen Befürchtungen richtig prognostiziert hat. Und gleichwohl hat er dem Bundestag empfohlen zuzustimmen.

Ich zitiere aus dem Plenarprotokoll: „Wir stimmen aus drei Gründen zu: erstens weil es im wirtschaftlichen Interesse Deutschlands ist, zweitens weil es im politischen Interesse Deutschlands ist, und drittens weil es um das Ganze geht."

Wir Deutschen können aus unseren Erfahrungen ableiten, dass eine echte Hilfe für Griechenland nur funktionieren kann, wenn neben der finanzpolitischen Lage, die soziale Situation der Menschen und die Strukturen der öffentlichen Verwaltung mit gleicher Kraft verbessert werden. Diese Erkenntnis ist einfach, die Konsequenzen die daraus zu ziehen äußerst kompliziert und komplex.

Die griechische Regierung muss mehr tun. Das fängt beim Aufbau einer funktionierenden Vollzugsverwaltung an, zum Beispiel der Steuerverwaltung, und hört bei einer Neuordnung des Bankenplatzes nicht auf. Mit erhobenem Zeigefinger funktioniert das nicht, sondern nur mit Hilfe und Unterstützung, Verständnis und Verständigung auf einer Basis, auf der man auf absehbare Zeit den Rücken von Altlasten frei hat. Um diese müssen sich die Griechen wieder kümmern, wenn es deutlich aufwärts geht.