Zur Bundestagsdebatte über Waffenlieferungen in den Irak

Ich stimme nach reiflicher Überlegung und Abwägung dem Antrag der Koalitionsfraktionen aus CDU/CSU und SPD „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge und Kampf gegen die Terrororganisation IS“ zu, und damit auch der Lieferung deutscher Rüstungsgüter – Waffen – an den Irak, der sich am Rande eines Bürgerkrieges befindet.

Der SPD Vorsitzende Sigmar Gabriel hat es auf den Punkt gebracht: "Das ist eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich in meinem politischen Leben getroffen habe".

Ich sehe dies ebenso. Die Zahl der Zuschriften und öffentlichen Positionierungen in verschiedensten Medien zeigen dies ebenso deutlich auf. Das differenzierte Bild mit einer Vielzahl von Pro- und Contra- Argumenten verdeutlicht, wie schwierig diese Frage „richtig“ zu beantworten ist.

Angesichts der Lage in unserer Welt ist klar: Wir werden auch in Zukunft – wie wir es zuvor auch getan haben – schwierige Entscheidungen und möglicherweise noch weitergehende Entscheidungen treffen müssen. Daher braucht ein solcher Abwägungsprozess einen Moment Zeit und eine gute Überlegung. Und eine klare Positionierung.

Ich schließe mich dem Regierungshandeln an und stimme damit auch zu, dass deutsche Waffen in eine Konfliktregion voller Gewalt und in eine wenig übersichtliche Situation geliefert werden. Diese Waffen werden der kurdischen Regionalregierung und ihrer kurdischen Armee mit dem Ziel übergeben, der terroristischen Organisation IS – „Islamischer Staat“ – Einhalt bei ihrem Zerstörungs- und Vernichtungsfeldzug gegen wehrlose, oftmals unbewaffnete Opfer zu gebieten.

Doch in aller Klarheit und Deutlichkeit: Die Entscheidung darf kein Paradigmenwechsel deutscher Friedenspolitik und grundlegender Linien unserer Außenpolitik sein. Sie ist kein Tabubruch und sie stellt auch keinen Präzedenzfall dar. Es darf zukünftig kein „Immer dann, wenn…“ bei Entscheidungen über deutsche Waffenexporte und Aufrüstungen geben.

Viele von uns und auch ich haben den Irakkrieg abgelehnt. Aus dieser grundlegenden Ablehnung lässt sich jedoch kein Schluss über die zu entscheidende Frage der Lieferung von Waffen an eine regionale Gruppierung im Irak ableiten.

Die militärische Intervention und der folgende Krieg im Irak hat die Region in meinen Augen nicht in dem beabsichtigen Maße stabilisiert, nicht überall sicherer, nicht grundlegend friedlicher gemacht, sondern eben auch zu Teilen das genaue Gegenteil der gesetzten Ziele erreicht.

Diese unsichere Situation für viele bedrohte und verfolgte Menschen wollen wir verbessern und ihnen eine Perspektive der Selbstverteidigung gegen brutale und menschenverachtende Terroristen geben. Die Situation der Bevölkerungen ergibt eine Verantwortung aller demokratischen Staaten für diese Region, seine Menschen und die Wahrung der Menschenrechte.

Aus unseren Staaten und durch unsere Staatenbündnisse zuvor gelieferte Waffen, Ausrüstung und Geld befinden sich nach den militärischen Erfolgen der IS in den Händen menschenverachtender Terroristen. Sie wenden diese Waffen nun gegen unbewaffnete wie unbeteiligte Männer, Frauen und Kinder. Auch hierfür müssen wir die Verantwortung tragen.

Wir sind für das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Menschen dieser Region mitverantwortlich und dürfen uns der Entscheidung nicht aus rein prinzipiellen Erwägungen verweigern. Es ist in diesem Zusammenhang irrelevant, wer die Misere in der Vergangenheit „verursacht“ hat und wer nun auch für die Beseitigung der Gefahrenlage für die in der Region lebenden Menschen verantwortlich ist. Das Problem ist jetzt zu lösen.

Die Frage der Waffenlieferungen ist nicht schematisch oder prinzipiell zu entscheiden, sondern eine konkrete und akute Frage, die sich aber sehr wohl an grundlegenden Überzeugungen messen lassen muss – wie nachfolgende und vorangegangene Entscheidungen.

Ich habe mich mit sehr unterschiedlichen aktuellen Stellungnahmen zu den Waffenlieferungen, aber auch mit früheren Debatten zu deutschen Militäreinsätzen und Rüstungsexporten auseinandergesetzt. Es ist unmöglich, diese Dokumente, Gespräche und Gedanken allesamt hier wiederzugeben.

Mich haben neben einigem anderen die Worte des Sozialdemokraten Erhard Eppler bewegt. Sowohl seine Rede auf dem Bundesparteitag der SPD am 12. April 1999 in Bonn („Kosovo-Einsatz der deutschen Bundeswehr“) als auch weitergehende, detaillierte Argumente eines Briefwechsels zur Zeit des Kosovokonflikts zwischen Egon Bahr und Erhard Eppler haben mir eine wichtige Leitlinie gegeben.

Entlang dieses Gedankengangs: Es ist wahr, seit 1989 hat die Gewalt in unserer Welt nicht abgenommen, sondern zugenommen. Dies ist außerhalb dessen geschehen, was als „Krieg“ im „herkömmlichen Sinne“ definierbar ist. Das heißt, wir haben immer mehr Gewalt und immer weniger definierbaren Krieg erlebt. Eppler sagte damals, dass im „nächsten Jahrhundert“ – also heute – die Frage nicht mehr nur „Krieg oder nicht Krieg?“ lauten würde. Vielmehr werde sich „die Frage stellen, ob es gelingt, dass jeder und jede, der oder die das Recht des Stärkeren in Anspruch nimmt – ob das ein Vergewaltiger, ein Raubmörder oder ein Diktator ist – irgendwann erfahren muss, dass es noch Stärkere gibt.“ Er meinte damit Staaten, die der Geltung des Rechts Wirkung verleihen können.

Seine Vorhersagen haben sich leider bestätigt. Die Gewalt hat nicht abgenommen, sondern zugenommen, und immer noch sind Abermillionen von Menschen von Gewalt, Vertreibung und Tod bedroht.

Eppler fasste seine Befürwortung des Kosovo-Einsatzes letztendlich so zusammen: Dass er den Eindruck habe, die Bundesregierung handele so, dass „wir ein bisschen weniger schuldig werden, als wenn wir nichts täten.“

Für mich gilt: Es kann nur die Stärke des Rechts sein, die über dem Recht des Stärkeren stehen muss. Dies ist für mich die unveräußerliche Geltung von Menschen- und Freiheitsrechten auf Basis universeller Werte, die in allen Gesellschaften und Religionen dieser Welt anerkannt sind. Und diese Durchsetzung des Rechts bedarf Handlungen und konkreter Entscheidungen, die möglicherweise falsch sind – aber im Lichte der heutigen Erkenntnisse notwendig sind.

Es gibt daher aus meiner Sicht nach wie vor auch gute Gründe, gegen den Export von Waffen zu sein, und die Frage insbesondere mit Blick auf den Irak auch zu verneinen.

Doch andere, auszuführende Aspekte überwiegen für mich.

Die Verläufe zahlreicher Konflikte mit und ohne Beteiligung unserer Verteidigungsbündnisse zeigen nach meinem Eindruck eine Pflicht zur Handlung auf: Hunderttausende von Toten – Männer, Frauen und Kinder – nach wie vor destabilisierte Staaten und ganze Regionen, nach meinem Eindruck ein Mehr an Terror, Krieg und Vertreibung als zuvor.

Der bisherige Pfad zur Konfliktlösung hat weder zu einer Verbesserung der Lage der Menschen noch zur Befriedung beigetragen.
Eine sichere Voraussage zukünftiger Geschehnisse können weder die Gegner noch die Befürworter der Entscheidung treffen. Es wird zu Recht auf mögliche Risiken sowie womöglich neu geschürte und mit den gelieferten Waffen geführte Konflikte in der Zukunft hingewiesen. Doch dieser mögliche Eintritt zukünftiger Ereignisse ist und bleibt ungewiss und kann ebenso nicht allein Messlatte der Entscheidung pro oder contra sein.

Wir kennen jedoch recht genau die Lage und nicht ausreichende Ausrüstung der Peschmerga im Nordirak, die die Hauptlast dieser Auseinandersetzung trägt. Und daher müssen wir uns fragen, ob diese überhaupt eine Perspektive hat, gegen die gut ausgerüsteten und ausgebildeten IS Kämpfer zu bestehen.

„Es ist richtig und legitim, den ungerechten Aggressor zu stoppen.“ – ein Gedanke als Beispiel vieler Gedanken, die in Kirchen wie in humanitären Organisationen offen und öffentlich geäußert werden, um die Lieferung militärischer Ausrüstung bis hin zu einer Intervention unter dem Dach der Vereinten Nationen zu fordern. Zum Schutz der Menschen. Diese Auffassung teile ich. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, dass nicht einmal das Selbstverteidigungsrecht einzelner Völker, Bevölkerungsgruppen oder eines einzelnen Menschen mangels adäquater Mittel nicht wahrgenommen werden kann.

Ich glaube aber genauso, dass wir – Menschen, die in demokratischen Staaten leben, die die Menschen- und Freiheitsrechte eines jeden einzelnen achten – noch viel mehr jenseits einer Waffenlieferung tun müssen. Wir sind verantwortlich für humanitäre Hilfe, die Stabilisierung der Staaten, die Durchführung tatsächlicher Wiederaufbauprogramme, die Entmilitarisierung und Abrüstung der Region, die Aufnahme von Flüchtlingen, den Stopp des Zuflusses radikalisierter Terroristen aus unseren Staaten, die Sanktionierung der Finanzierung und Unterstützung der IS durch Staaten und Regierungen – und vieles mehr.

Den Befürworterinnen und Befürwortern einer (ausschließlich) humanitären Hilfeleistung und Ablehnung einer Lieferung von Waffen möchte ich allerdings entgegnen, dass jede Hilfeleistung auch einen Raum, eine Region braucht, in denen eine wenigstens geringe Sicherheit herrscht und zivile Einsätze geleistet werden können.
Keine Hilfsorganisation könnte ihre Hilfe leisten, wenn nicht lokale Allianzen wie die Perschmerga oder die kurdische Armee die Terrororganisation IS in einigen Regionen wenigstens zeitweilig aufhalten würde. Es wäre unmöglich, diese Hilfe zu leisten – und daher müssen wir die Perschmerga verstärken.

Diese zuvor schon von mir formulierten Gedanken anlässlich meiner Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zugunsten von Waffenlieferungen werden in notwendiger Klarheit im Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen aufgegriffen und herausgestellt und bewegen mich zur Zustimmung.

Wenn ich mit meiner Zustimmung zum Entschließungsantrag ebenfalls für die Waffenexporte stimme, so tue ich dies in der Hoffnung, dass wir zu einer Besinnung auf eine Politik des Friedens und der Verständigung zurückkehren und ein Ende der scheinbar endlosen Gewaltspirale erreichen können. In der Hoffnung, dass sich diese Waffen nicht in einer neuerlichen Auseinandersetzung gegen andere wenden und wiederum mehr Gewalt, Leid und Tod herbeiführen.

Wir Deutsche leben seit Jahrzehnten in Frieden, Freiheit und Wohlstand und hatten nach Jahrzehnten militärischer Konfrontation das Glück einer friedlichen Wiedervereinigung.

Dies hat einen Grund. Wir haben zuvor davon profitiert, dass es eine Koalition friedens- und freiheitsliebender Staaten gab, die auch mit Gewalt und hohem zivilem wie militärischem Einsatz den Menschenrechten wieder Geltung gegen deutsche Barbarei und Gräuel verschafften.

Wir Deutsche können unserer heutigen Verantwortung als friedliebende Gesellschaft in einem demokratischen Staat gerecht werden, in dem wir diese akute wie notwendige Entscheidung in eine neue, bessere Strategie des Friedens und des humanitären Handels betten – so dass wir zukünftig nicht mehr gezwungen sind, diese Entscheidungen zu treffen.

Dies enthebt uns – und mich – jedoch nicht, in einer konkreten und akuten Situation eine Entscheidung zum Schutz ungeschützter wie wehrloser Opfer zu treffen. Darum stimme ich der Lieferung von Waffen und Rüstungsgütern in eine Konfliktregion wie dem Irak zu.